Gustav Mahlers Komponierhäuschen in Toblach
In den Sommermonaten eines Jahres ergriff die Gelegenheit, um sich neben seinen Tätigkeiten als Dirigent und Operndirektor (: , 94868 D) dem Komponieren zu widmen. Als lärmempfindlicher Mensch suchte er dafür größtmögliche Ruhe, die er insbesondere in kleinen, meist abgelegenen Arbeitshäuschen fand, in der Regel einfachen Holz- oder Steinhütten von wenigen Quadratmetern mit Piano.
Ein solches bezog dieser erstmals im Jahr 1894 in Steinbach am Attersee (, S. 154–156). Ein zweites Komponierhäuschen entstand im Jahr 1900 in einem Waldstück bei Maiernigg am Wörthersee, nicht weit entfernt vom Südufer, an dem im selben Jahr den Bau einer Villa in Auftrag gegeben hatte. Der Tod der älteren Tochter , genannt Putzi, im Juli 1907, veranlasste die Familie Mahler Maiernigg zu verlassen und die Villa im darauffolgenden Jahr zu verkaufen (, S. 232–236).
Kurz zuvor, im Juni 1908, hatte das Ehepaar Mahler einen großen Bauernhof, den nach den Besitzern benannten Trenkerhof in Altschluderbach (Toblach), als ihr neues Feriendomizil erwählt. Dort, in der heutigen Via Carbonin Vecchia Nr. 3, in den oberen Stockwerken wohnten und während der Sommermonate der Jahre 1908 bis 1910 (, S. 27–58 und , S. 353–356). benötigte lediglich wenige Gehminuten, um zu seinem westlich gelegenen, dritten und letzten Komponierhäuschen zu gelangen. Dies kam auch einer neu auferlegten Lebensweise zugute, nachdem im Juli 1907 von seinem Herzfehler erfahren hatte (, S. 155). Im Sommer 1908 drückte er sein Wehleid in einem Brief an aus: „Ich hatte mich seit vielen Jahren an stete kräftige Bewegung gewöhnt. […] An den Schreibtisch trat ich nur, wie ein Bauer in die Scheune: um meine Skizzen in Form zu bringen“ ( Nr. 394, S. 365). Holzhütte lag in einem kleinen Waldstück, von dem er einen herrlichen Blick über das Pustertal zum Ratsberg genießen konnte. Vollkommen geschützt von der Außenwelt fühlte sich dort jedoch nicht, wie ein Brief an vom 5. Juli 1910 belegt: „Also die munteren Landbewohner sind wieder all[e] vereint. […] Ich zweifle gar nicht daran, daß sie mir demnächst auch in mein Waldhäuschen folgen werden, wenn ich dorthin ziehe“ ( Nr. 317, S. 436; vgl. Nr. 317, S. 367). Trotz allem entwarf im Sommer der Jahre 1908 und 1909 die Symphonie und arbeitete zugleich an deren Klavierfassung. Anfang September schrieb er an : „Ich war sehr fleißig […]. Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, daß es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe“ ( Nr. 430, S. 371). Außerordentlichen Fleiß erwies auch beim Komponieren der . Im Juni 1909 war mit Tochter , genannt Gucki, für vier Wochen in den Kurort Levico gereist (, S. 376). Dies verschaffte genügend Ruhe, um fertigzustellen und in ähnlichem Rekordtempo der nun auch seine vorerst letzte Symphonie zu entwerfen. Am 1. April des darauffolgenden Jahres 1910 schrieb er schließlich aus New York an : „Die Reinpartitur meiner ist fertig“ ( Nr. 436, S. 407). erlaubte sich keinen Aufschub und nahm im Juli die Arbeiten an einer auf. Sein Komponierhäuschen betrat er zwischen dem 6. und 17. Juli (, S. 37f.). Brief an , AM14 vom 8. August, verrät das Datum, an dem seine Arbeiten an der wiederaufnahm, nachdem die heimliche Liebesbeziehung zwischen und aufgeflogen war und dieser am 6. August Toblach wieder verlassen hatte: heute ist der erste Tag – an – dem Gustav [wieder] in sein kleines Arbeitshaus gegangen ist. Vertrauen war aber gestört, so erinnerte sich : „Jeden Tag musste ich ihn jetzt aus seinem Arbeitshaus zum Essen holen. Ich tat das sehr vorsichtig, denn in dem Übermaß seiner Angst, er könne mich verlieren, habe mich vielleicht schon verloren, lag er oft auf dem Erdboden der Hütte und weinte! Denn so, sagte er, sei er der Erde näher“ (, S. 216). Mitteilungen, die er seiner Frau in diesen Tagen vor seinem Gang ins Arbeitshäuschen schrieb, bestätigen deren Eindruck: „Komm, banne die finstern Geister, sie umklammern mich, sie schleudern mich zu Boden. Bleib mir, mein Stab, komm bald heute, damit ich mich erheben kann“ ( Nr. 322, S. 446, siehe auch Nr. 323, S. 447 und Nr. 326, S. 448; vgl. Nr. 323f., S. 375f. und Nr. 327, S. 377).
Abb. 7: Moritz Nähr, Gustav Mahler (1907).